Leseprobe zu Skye. Götter des Nordens von Lea McMoon

Skye. Götter des Nordens - Ein Fantasy Romance Roman von Lea McMoon / Ela van de Maan

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Leseprobe aus »Skye. Götter des Nordens« von Lea McMoon

»Eine gigantische Flutwelle schlug über der Insel zusammen. Sie begrub alles, was sich darauf befand, unter sich und spülte es den großen Wasserfall am Ende der Welt hinab, den die Wikinger so fürchteten. Es war wahrscheinlich einer der größten Tsunamis der Geschichte im Nordatlantik. Doch die Stämme des Nordens glaubten, die Midgardschlange hätte das Meer aufgepeitscht und riefe den Ragnarök – den Weltuntergang – hervor, weil sie mit dem Christentum sympathisierten. Und tatsächlich scheint in diesem Mythos ein Stück Wahrheit begraben zu liegen, denn das Zeitalter der Wikinger ging zu Ende und mit ihnen verschwand der Glaube an die alten nordischen Götter«, schloss Mr Hummingham seine gestenreiche Erzählung.

»Immer diese Ammenmärchen und wir müssen wieder ein Referat über den Schwachsinn schreiben«, moserte Candice in der letzten Reihe.

Ich drehte mich um. »Nicht alles ist Schwachsinn, nur weil es ein Mythos ist.«

Candice bleckte ihre blendend weißen Zähne.

Ich zog eine Grimasse. Wofür machte ich mir eigentlich die Mühe zu versuchen, dieses ungebildete Volk zu etwas mehr Verständnis für Mythologie und Geschichte zu bewegen? Alles, was die interessierte, waren die drei großen K. Kerle, Klunker, Klamotten.

»Komm, gib’s auf, Skye.« Will stupste mich von der Seite an. »Fahren wir rüber ins Appleplums und essen eine Kleinigkeit. Ich muss dir was erzählen.«

»Ja, geht nur euren Mythos besprechen, damit ihr wieder die beste Arbeit von allen abliefert, Streber«, keifte Candice uns hinterher. Will seufzte und schob mich aus der Tür.

»Irgendwann kratze ich der die Augen aus«, brummte ich.

»Ach komm, so schlimm ist sie nun auch wieder nicht.«

»Meine Güte, Will, man möchte meinen, ihr Kerle denkt tatsächlich nur mit dem Ding in eurer Hose.«

»Mit einem Handy kann man nicht denken, das erledigt nur die Arbeit für den Besitzer.«

Ich drehte mich zu ihm um, um zu sehen, ob er vielleicht im Fieberwahn sprach. »Ich meinte definitiv nicht dein Handy, sondern das, was dir zwischen den Beinen hängt und in das dein Gehirn immer hineinrutscht, wenn du den Vorbau dieser Trine siehst.«

»Mein Gehirn ist da, wo es hingehört.«

»Und ich dachte, du brauchst es zum Denken, wenn du programmierst.«

»Komm, hör auf, Skye. Was bist du denn immer so zickig wegen Candice?«

»Ich bin zickig? Lässt du dich gern Streber nennen, nur weil sie nichts auf die Reihe bekommt?«

»Na, so schlimm ist es auch wieder nicht Streber genannt zu werden. Ich heiße seit dem ersten Schuljahr so. William, der Streber oder William, der Nerd. Je nachdem, ob ich Brille oder Kontaktlinsen trage.«

Ich grinste. Will war tatsächlich ein Nerd, aber ich war keine Streberin, ich war wissbegierig. Und ich hatte es nicht nötig mich auf meine körperlichen Vorzüge zu berufen, wenn ich mal ins Stocken geriet. Ich trug meine Blusen lieber geschlossen. Vorsorglich überprüfte ich den zweiten Knopf von oben.

»Weißt du, Skye, nur weil du ein bisschen flacher gebaut bist, heißt das nicht, dass du weniger attraktiv wärst«, bemerkte Will und grinste, als hätte er meine Gedanken erraten.

»Habe ich dich nach deiner Meinung zu meiner Oberweite gefragt?«

»Ich dachte, das wäre dein Problem mit Candice.«

»O Gott, hör auf zu denken und sieh zu, dass wir hier wegkommen.«

Ich legte im Eilschritt den kurzen Weg von unserem Schulgebäude zum Parkplatz zurück. Will hielt mir galant die Beifahrertür seines Autos auf und schwang sich hinter das Lenkrad. Wie immer rieb er sich erst die Hände, bevor er seinen alten Wagen, der in seinem ersten Leben ganz bestimmt ein wunderschön glänzendes und vor allem zuverlässiges Londoner Taxi gewesen war, zu starten versuchte. Mit einigen nervtötenden Fehlzündungen und einer Rußwolke, die in geradezu schändlichem Ausmaß die Umwelt verpestete, setzte sich die alte Kiste endlich im Schritttempo in Bewegung. Candice klopfte im Vorbeigehen aufs Dach.

»Können wir nicht mit der U-Bahn fahren wie alle anderen auch?«

»Erstens fahren nicht alle anderen mit der U-Bahn, sondern manche mit Chauffeur und zweitens sind wir so viel schneller im Appleplums«, antwortete William stoisch, während er versuchte den zweiten Gang hineinzuhebeln.

»Davon sehe ich aber nichts.«

»Geduld war noch nie deine Stärke.«

Ich verkniff mir einen weiteren Kommentar und sah unseren Klassenkameraden nach, wie sie fröhlich plaudernd hinüber zur U-Bahn liefen, während wir an der Ausfahrt des Parkplatzes standen und ich darauf wartete, dass ein kleines Wunder dem alten Taxi neues Leben einhauchte. Aber auf Wunder wartet man ja bekanntlich ewig und genauso lang erschien mir auch der Weg zu unserem Stammcafé. Ein Seufzer der Erleichterung entfuhr mir, als wir endlich am Appleplums ankamen. In der Zeit hätten wir es zu Fuß auch geschafft. Natürlich war die Hälfte der Klasse vor uns da. Wenn es im Appleplums nicht so hervorragende Veggieburger gäbe, hätte ich schon längst darauf gedrängt in ein anderes Café zu wechseln. Ich musste wirklich nicht ständig dieselben Gesichter vor mir sehen. William marschierte freudestrahlend zu unserem Stammtisch an dem kleinen Fenster vor der Klotür, der wie selbstverständlich auf uns wartete, während das Café längst überfüllt war.

»Und? Was wolltest du mir erzählen?«, fragte ich, nachdem wir unsere Bestellung aufgegeben hatten. »Du machst es aber spannend heute.«

Will rückte seine Nerdbrille zurecht und setzte eine feierliche Miene auf. Ich tippte mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte herum. Mit einem hatte er definitiv recht, Geduld war nicht meine Stärke und er hatte die seltene Gabe sie stündlich auf die Probe zu stellen.

»Also …« Er machte eine Pause, als müsse er noch einmal darüber nachdenken, was er nun als so wichtig befand, dass er unbedingt damit warten musste es mir zu erzählen, bis wir den feierlichen Rahmen unseres Klotisches erreicht hatten. »Ich spiele ja Schlagzeug.«

»Seit zehn Jahren ohne Erfolg«, ließ ich ihn wissen.

»Alte Motze«, brummte er. »Ich hatte ja nur deshalb keinen Erfolg, weil ich in keiner Band spiele.«

»Und jetzt hast du vor eine Ein-Mann-Schlagzeugband aufzuziehen, oder wie?«

»Ja, mit dir als Sängerin.«

Mir fiel fast mein Wasserglas aus der Hand.

»War nur ein Scherz, keine Sorge. Ich werde mich auf eine Stelle als Schlagzeuger bewerben.«

»Ach. Bewerben muss man sich da? Ich dachte, es würde reichen einfach mal vorzuspielen.«

»Ja, oder so. Aber ich muss ja erst herausfinden, wo das Vorspielen überhaupt stattfindet.«

»Und bei welcher Band willst du da vorspielen? Kennt man die oder spielen die nur in der heimischen Garage?«

»Wie kann man denn nur immer so negativ eingestellt sein?«

»Ich bin so, wenn es darum geht mit meiner Umwelt in Kontakt zu treten.« Und meine negative Grundeinstellung zu meiner Umwelt wurde in diesem Moment noch negativer. Sam Stalinski bewegte seinen Astralkörper wie ein nordischer Gott zur Tür herein, im Schlepptau Candice. Ihr knallroter Lippenstift war total verschmiert und ihre Bluse noch einen Knopf weiter offen. Sofort war jedem klar, weshalb sie noch später als wir eintrudelten. Sam hatte sein selbstbewusstes Strahlelächeln aufgesetzt. Ein Siegerlächeln, wie es nur wenigen gegeben war. Ich hätte kotzen können. War es mir nicht ein einziges Mal vergönnt, diese Vorlage meiner schlaflosen Nächte ohne ein aufgeknöpftes Möchtegern-Groupie um den Hals zu bewundern? Sie strich ihm seine blonden Haare aus dem Gesicht und himmelte ihn an, als hätte sie ihn noch nie gesehen. Dabei spielte er jeden Tag mit seiner Mannschaft Rugby auf dem Schulgelände. Er beachtete sie kaum, obwohl sie sich an ihn klammerte wie eine Ertrinkende. Mich beachtete er allerdings auch nicht. Aber wenn er aufs Klo musste, dann musste er direkt an mir vorbeigehen. Mit einem Mal war ich Will fast dankbar für diesen Losertisch.

»Also kommst du nun mit?«, fragte Will nachdrücklich.

»Ich? Wohin?«

»Na zu dem Konzert heute Abend. Die spielen im B120

»Ugh, im Ernst? Ne, ich hab grad keine schmutzigen Klamotten zum Anziehen. Und außerdem möchte ich das Referat über den Untergang der nordischen Götter vorbereiten und noch einiges dazu recherchieren. Das wird so spannend werden!« Ich warf einen Blick hinüber zu Sam. Wenn der mir als Vorlage dienen würde, könnte ich sogar Szenen dazu zeichnen.

Will folgte meinem Blick und verdrehte die Augen. »Aber über mich lästern, wenn ich in Candice’ Ausschnitt falle. Der Typ ist doch auch nichts anderes, nur halt in männlich. Fürchterlich männlich.«

»Candice ist billig … aber Sam … der ist einfach nur göttlich.«

»Der ist ne Hohlbirne. Glaubst du, der könnte dein Smartphone wieder zum Laufen bringen, wenn du dir nen Virus eingefangen hast, oder gar deinen Computer?«

»Dafür hab ich ja dich«, konterte ich.

»Genau. Und ich habe dich, damit du mit mir heute Abend die Band begutachtest, bei der ich vorspielen möchte. Für das Referat hast du zwei Wochen Zeit und das Thema kennst du in- und auswendig.«

»Naaaaaa gut, ich gebe mich geschlagen.« Zum Glück kam unser Essen – somit war William beschäftigt und ich konnte noch eine Weile unauffällig Sam bewundern, den ich mir durchaus als Thors Sohn vorstellen konnte. So groß, so muskulös und so blond – einfach göttlich. Und er kam soeben auf mich zu. Unglücklicherweise rutschte mir der komplette Burger samt Salatblatt, Tomate und Senf aus dem Brötchen und platschte auf den Teller.

Sam schenkte mir sein strahlendes Lächeln. »Hallo allwissende Schönheit, du hast da was am Kinn.« Er tippte sich mit dem Finger an die Stelle, wo in ein paar Jahren sicher mal ein cooler Dreitagebart stehen würde, um mich wissen zu lassen, wo mein Essen hängengeblieben war, und verschwand auf dem Klo. Ich gab auf. So würde das nie was werden. Bei Candice blieben die Lebensmittel wenigstens im Ausschnitt hängen und er konnte sie genüsslich wieder rausfischen. Aber wer leckte schon gern anderer Leute Kinn ab.

Will lachte sich fast scheckig.

»Hör bloß auf, sonst gehst du da heute Abend allein hin«, drohte ich.

Schnell biss er sich auf die Lippen und versuchte sich zu beherrschen.

»Also, wann holst du mich ab?«

»Um halb neun.«

»Super, dann kann ich ja doch noch zwei Stunden recherchieren.«

»Du könntest auch zwei Stunden damit verbringen dich schick zu machen.«

Ich hörte auf die Reste des Burgers vom Teller zu kratzen und blickte ihn fragend an. »Wie meinst du das?«

»Naja, die meisten Mädels würden sicher eine Stunde vor dem Schrank verbringen, um die perfekten Klamotten zu finden und sich dann in der zweiten Stunde die Haare machen und schminken.«

»Was genau stört dich an Jeans, Shirt, Pferdeschwanz und Eyeliner? Wir gehen nur ins B120

»Mich stört da nichts, ich wollte dich nur warnen. Schließlich spielt Nothing Out.«

»Nothing Out? Du willst bei Nothing Out vorspielen?«, kreischte ich eine Spur zu laut.

»Echt, Nerd?«, vernahm ich die tiefe Stimme von Sam wieder hinter mir, der gerade aus dem Klo kam. »Find ich mutig von dir. Viel Glück. Kriegen wir dann mal VIP-Karten von nem Konzert?«

»Ich muss ja erst genommen werden«, antwortete Will kleinlaut.

»Sorry, ich wollte es nicht in die Welt posaunen. Warum hast du das nicht gleich gesagt?«, flüsterte ich ihm zu, als Sam weitergegangen war.

»Weil du dann sicher nicht mitgegangen wärst.«

»Da hast du aber so was von recht, kannst dir gar nicht vorstellen, wie recht du hast.«

»Du hast schon zugesagt.«

Ich schnaubte. »Was in aller Welt willst du bei denen? Die machen keine Musik, die machen Krach.«

»Du hast es dir doch noch nicht mal richtig angehört.«

»Mannomann, ich versteh dich nicht.«

»Das Symphonieorchester sucht halt keinen Schlagzeuger, sodass ich dich damit hätte beeindrucken können.«

»Ich werde taub sein nach diesem Abend. Und unfähig jemals wieder Mozart auf dem Flügel zu spielen. Meine Finger werden wochenlang zittern vor Aggressionsschüben, die diese Musik in meiner zarten Natur hinterlassen wird.«

»Jetzt übertreibst du aber.«

»Ich übertreibe nie.«

Will rollte mit den Augen.

»Na schön, ich werde mich opfern. Weil du es bist. Auch wenn es mich meine Karriere als Pianistin kostet.«

»Du willst Archäologin werden. Klavier hast du nur gelernt, weil deine Eltern es so wollten. Also spar dir das künstliche Drama.«

Nothing Out, ausgerechnet Nothing Out! Ich hatte zwar tatsächlich noch keinen Song von dieser Band bewusst wahrgenommen, aber nachdem Candice und ihr Gefolge seit Wochen von nichts anderem schwärmten – abgesehen von der Rugbymannschaft um Sam natürlich – hatte ich kein Interesse diese Band näher kennenzulernen.

Sam deutete in unsere Richtung und erzählte seinen Kumpels etwas offenbar sehr Interessantes und ich konnte mir denken was, als Candice’ Augen sich so weiteten, dass ich befürchtete, ihre Augäpfel würden gleich herausfallen. Was hatte ich dem armen Will nur angetan, weil ich gleich so laut werden musste. Wenn er das Vorspielen vermasselte, dann konnte er sich den Spott bis zum Abschluss der A-Levels anhören. Und da waren es noch ein paar Monate hin.

»Also, ich muss noch ein bisschen Schlagzeug üben. Wie wär’s, wenn wir jetzt schon nach Hause aufbrechen?«

»Jetzt schon? Ich hab doch noch nicht alle Leute aufs Klo gehen sehen.«

Er winkte wortlos die Bedienung zu uns und zahlte alles.

»Hey, danke schön. Womit habe ich die Einladung zum Essen verdient?«, fragte ich vorsichtig, als wir das Appleplums verließen.

»Das war die Vorabentschädigung für heute Abend. Weil du deine knackigsten Jeans anziehen wirst und ein geiles T-Shirt und deine Haare offenlässt. Und wenn du keinen roten Lippenstift hast, dann kauf ich dir einen.«

Ich blieb stehen. »Willst du mich verscherbeln, oder was?«

Will drehte sich um und grinste. »Ich brauch einen Lockvogel, damit Thorsson mich überhaupt wahrnimmt. Sonst hätte ich auch allein dahin gehen können.«

»Das wird ja immer schöner. Warum fragst du nicht Candice, ob sie dich begleitet? Mit der könntest du noch sämtliche alten Hunde hinterm Ofen hervorlocken, die darauf warten sabbern zu dürfen.«

»Ich gehe lieber auf Nummer sicher.«

»Du willst nicht, dass dieser Thorsson, wer auch immer das ist, dir das Zuckerpüppchen aus dem Arm reißt und dich stehen lässt, stimmt’s?«

»Hm.« Will ging um das Auto herum und ließ mich stehen.

»Und jetzt soll ich mir die Tür selbst aufmachen, oder wie?« Ich versuchte vorsichtig die alte Verriegelung zu lösen. Zum Glück hatte ich wohl den richtigen Druckpunkt erwischt, um nicht den Griff in der Hand zu halten statt der Tür. »Weißt du«, murrte ich und ließ mich in den Sitz plumpsen. »Irgendwie komme ich mir gerade etwas herabgesetzt vor. Du nimmst mich nur mit, weil du weißt, dass mich keiner von den Rockern abschleppen wird.«

»Ich will ja nicht den Rest des Abends allein dastehen.«

»Super.« Was freute ich mich auf diesen Abend. Sollte ich Will wirklich den Gefallen tun und mich schicker machen, als ich es für das B120 normalerweise tat? Wenn ich nur an die versifften Knutschsofas hinten an der Wand dachte, bekam ich schon Pickel. Aber denen würde ich heute möglicherweise entkommen, da Will ja wirklich auf die Band scharf war und sich sicherlich in ihre Sichtweite drängen würde – und mich mit.

***

Zum Trotz schmiss ich zu Hause sofort den Rechner an und versuchte noch einige neue Studien zum Thema nordische Götterwelt zu finden. Aber Will hatte recht. Ich kannte das Thema fast in- und auswendig. Dad hatte vor einem halben Jahr in seiner Abteilung im Museum eine Ausstellung dazu eingerichtet und ich durfte die Pressemitteilung und die Texte in den Broschüren vorbereiten. Wenn ich doch nur irgendwoher noch etwas Neues, Ungewöhnliches, nie Dagewesenes darüber erfahren würde. Nur woher? Ich nahm mir vor in den nächsten Tagen noch einmal in der British Library vorbeizuschauen und in den ältesten Büchern zu diesem Thema zu forschen.

Sollte ich jetzt wirklich meinen Schrank nach der knackigsten Jeans durchforsten, die ich besaß? Unten im Flur hörte ich etwas rumoren. Mom war zurück. Das wäre die Ausrede, mich nicht ungewöhnlich schick gemacht zu haben. Schließlich musste ich sie ja noch über ihren Tag ausfragen. Es war ja immer so unglaublich interessant zu hören, was die anderen Damen der Gesellschaft zur Wiederentdeckung altenglischer Kuchenrezepte zu erzählen hatten. In meinem Hinterkopf hörte ich Will lästern, meine Gedanken würden vor Sarkasmus triefen. Aber wenigstens sabberte ich nicht den ganzen Tag herum wegen einer Lärmtruppe und eines Typen, der Thorsson hieß. Außer es würde sich herausstellen, dass er aussah wie Sam. Dann hätte er zumindest den richtigen Nachnamen.

Mom war begeistert mir von dem netten Klatsch und Tratsch erzählen zu können, der in der Gesellschaft die Runde gemacht hatte. Ich nahm mir wieder einmal vor ganz sicher mein Leben lang zu arbeiten, um ja nie in die Lage zu kommen meine Nachmittage in derartigen Situationen verbringen zu müssen. Mom redete ohne Unterlass, während sie die mitgebrachten Raritäten, die sie in ihrer Gruppe gegen ihre selbstgemachten Chutneys eingetauscht hatte, im Schrank verstaute.

Thorsson – wenn einer der Bandmitglieder von Nothing Out wirklich Thorsson hieß, dann hatte er Vorfahren aus Nordeuropa. Vielleicht kamen die bei ihm tatsächlich durch. Vielleicht war’s aber auch nur der Manager, ein dicker alter Mann mit Halbglatze und Goldkette, an dessen Haarrest man die Farbe ohnehin nicht mehr erkennen konnte. Vorsicht Sarkasmus, hörte ich wieder Wills Ermahnung ganz still und leise durch meine Gehirnwindungen wandern. War ich wirklich so schlimm? Ich war doch nur realistisch. Wer managte schon so eine Anfängerband ohne Plattenvertrag? Bestimmt kein junger, knackiger, voll engagierter PR-Mensch. Vielleicht hatten sie auch gar keinen Manager. Sollte ich womöglich im Netz mal nach ihnen suchen?

»Und was machst du noch Nettes heute Abend?«, fragte Mom, die sicherlich längst bemerkt hatte, dass ich ihr nur mit halbem Ohr lauschte.

»Ach, ich geh mit William auf ein Konzert.«

»Das ist aber schön. Was wird denn gegeben?«

»Indie-Rock. Laut, hart und nervtötend.«

Sie sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»William will dahin.«

Ihre Miene wurde nachsichtiger. Solange Will das wollte, war alles völlig in Ordnung. Will wäre ja ihr liebster Schwiegersohn – alteingesessene Familie, gute Erziehung, perfekte Noten, keine Ausfälle – zumindest keine, die bekannt geworden wären. Ich wusste allerdings von seiner Leidenschaft für den guten alten Scotch, den sein Vater bunkerte, die Wills Programmierungen mitunter sprachlich sehr gewandt, aber funktionell katastrophal ausfallen ließ.

»Na gut, William wird sicher dafür sorgen, dass du wieder heil nach Hause kommst.« Sie warf einen Blick auf die Uhr. »Aber müsstest du dich nicht zurechtmachen, es ist schon acht?«

Toll, da war ich wieder. Nun hatte ich auch noch den offiziellen Auftrag meiner Mutter meinen Kleiderschrank zu durchwühlen.

***

Die Jeans war schnell gefunden. Aber welches T-Shirt sollte ich anziehen? Konnte es wirklich so schwer sein, ein passendes T-Shirt zu finden? Draußen prasselte der Regen in Strömen an mein Fenster. Es war wieder mal arschkalt geworden. Ein Blitz zuckte über den Himmel. Gut, dass Will nicht gern U-Bahn fuhr. In seiner alten Karre blieben wir definitiv trockener, als wenn wir jetzt zu Fuß bis zur nächsten Station laufen müssten. Ich zog ein schwarzes Shirt mit V-Ausschnitt an. Das musste heiß genug sein für das B120. Und über die Haare gebürstet war auch gleich. Bisschen Farbe ins Gesicht und ich konnte behaupten gestylt zu sein.

Will hupte vorm Haus. Pünktlich fünf Minuten zu früh, wie immer. Ich schlüpfte schnell in eine Jacke, schob ein paar Pfundnoten in die Hosentasche, wobei ich darauf achtete, dass ich auch sicher Geld für ein Taxi dabeihatte, falls ich anders nicht nach Hause käme, und sprang die Treppe hinunter.

»Schönen Abend, mein Schatz«, verabschiedete mich Mom. »Stell dich nicht zu nah an diese Boxen, das schadet dem Gehör. Und du hast hoffentlich Geld für ein Taxi dabei.«

»Danke Mom, ja Mom, hab ich.«

»Dann gib es ja nicht für Getränke aus. Soll ich dir lieber noch ein bisschen mehr zustecken?«

»Nein, Mom, danke, für ein Wasser reicht es. Mehr trinke ich nicht.« Ich wollte ja nicht im B120 aufs Klo müssen.

»Wenn du meinst.« Sie drückte mir einen Kuss auf die Stirn, wobei sie sich seit letztem Jahr auf die Zehenspitzen stellen musste, was mich immer wieder schmunzeln ließ. Aber meine Größe war eine super Ausrede dafür nicht wie Candice auf Stöckelschuhen daher wackeln zu müssen, um nicht übersehen und über den Haufen gerannt zu werden.

Will hatte den Motor laufen lassen und die halbe Straße mit seinem Gestank verpestet. Nicht einmal der Regen war fähig den Qualm mitzureißen. Ich machte mich wieder vorsichtig am Griff zu schaffen.

»Ich hab die Tür längst repariert. Du kannst sie ganz normal öffnen«, rief Will heraus.

»Hättest du das nicht gleich sagen können?« Ich riss die Tür auf und sprang hinein. Meine Haare tropften. »Na super, alle Mühe umsonst.«

Will lachte. »Du bist nicht länger als fünf Minuten vorm Spiegel gestanden, das wette ich. Aber du siehst trotzdem toll aus.«

»Bin eben eine Naturschönheit. Fahr endlich los, damit das Gebläse meine Haare wieder trockenföhnen kann.«

Bis wir am Klub ankamen, waren meine Haare tatsächlich durch den heißen Motorwind, der nahezu ungefiltert durch die nicht mehr regulierbaren Düsen pfiff, fast trocken.

Vor der Tür stand eine Schlange von Leuten.

»Meine Güte, müssen wir uns jetzt auch noch anstellen? Was wollen die alle hier?«

Will seufzte. »Im Gegensatz zu dir wissen andere in unserem Alter eben, wer die gerade angesagte Band ist.«

»Ich würde mich auch nicht für die London Philharmoniker in den strömenden Regen stellen.«

»Das musst du auch nicht, weil dir dein Vater eine Dauerkarte für die Philharmonie spendiert hat, mit der du durch den VIP-Eingang kommst. Genauso wie wir jetzt, weil der Besitzer mir noch was schuldig ist, da ich ja erst letzte Woche seinen PC wieder zum Laufen gebracht habe.«

»Und das natürlich ohne Hintergedanken.«

»Was dachtest du denn?« Er grinste und schob mich, mit seiner Jacke über unseren beiden Köpfen, an der Schlange vorbei bis zum Türsteher, der uns tatsächlich sofort öffnete.

»Hey Nerd«, rief uns jemand nach, den ich sofort als Sam identifizierte. »Kannst du uns noch Plätze an der Bar freihalten?«

Will brummte nur was von Hohlbirne und kümmerte sich nicht darum. Ich hätte mich gern hilfsbereiter gezeigt, aber er zog mich unter seiner Jacke weiter.

Drinnen tobte schon der Bär. Zumindest hörte sich der Bass, den ein Typ auf der Bühne in dem sonst fast leeren Raum bearbeitete, so an, als wäre ein Bär verletzt worden und gerade dabei durchzudrehen. Ich überlegte fieberhaft, wie meine Chancen standen mit meinem Taxigeld möglichst schnell wieder das Weite zu suchen. Sie standen schlecht. Will schnappte sich meine Hand und umklammerte sie wie seine Gamermaus mit einem Griff, bei dem mir klar wurde, weshalb er sich ein Metallgehäuse für die Maus zugelegt hatte.

Der blonde Kerl auf der Bühne drückte dem armen Bären endgültig die Luft ab. »Ist das Thorsson?«

»Nein, das ist Andorsson, der Bassist«, brummte Will.

»Sind das Schweden?«, fragte ich schon interessierter.

»Keine Ahnung, sie singen jedenfalls englisch.«

»O Wunder, das ist ja selten in der Musik.«

Ein Typ mit Sticks kam auf die Bühne. Mittelblond, hätte ich bei dem schummrigen Licht behauptet. 

»Ist das Thorsson?«

»Nein, das ist der Drummer, der aufhört. Wenn das Thorsson wäre, müsste ich ihn ja nicht ums Vorspielen fragen.«

Auch ein Argument.

Ein weiterer hellblonder Jüngling erschien. Der konnte schon durchaus mit Sam mithalten. »Aber das ist Thorsson. Sag mir bitte, dass er das ist. Dann hätte sich der Einsatz heute für mich gelohnt.«

»Nein, das ist Njördsson, der zweite Gitarrist.«

»Njördsson? Echt? Sind das Künstlernamen?«

»Wieso sollten sie Künstlernamen haben?«

»Na ja, Njörd ist der Zuständige für den Bereich Meer bei den nordischen Göttern und Thor ist der, der weiß, wo der Hammer hängt. Njördsson – Thorsson … Das weißt du doch.«

»Und wer ist Andor?«, fragte Will und grinste.

»Andor ist unter anderem ein norwegischer Vor- oder auch Zuname, bedeutet aber auch so viel wie Donnerschlag. Wie heißt denn der Drummer?«

»Meyers.«

»Ok, drum fliegt der raus. Und blond genug ist er auch nicht.«

Will zupfte an seinen kreuz und quer stehenden Haaren von undefinierbarer Farbe, die jedoch definitiv nicht blond waren. »Und ich komm gar nicht erst rein, oder wie?«

»Tja«, ich klopfte ihm auf die Schulter. »Sie werden schon nicht so viel Auswahl haben – in blond, mit nordischen Namen.« Wann kam denn dieser Thorsson endlich? Hoffentlich bevor die ganzen Leute eingelassen wurden. Ich hatte keine Lust mich hin und her schubsen zu lassen, nur weil alle nach vorn drängten und direkt an der Bühne hängen wollten. Hängen war der richtige Ausdruck, wenn ich an Candice dachte – wie sie sich an das Holz drückte, damit ihr Busen direkt vor den Musikern auf den Brettern lag und sie ihr bis runter zum Bauchnabel sehen konnten. Oder sie ließ den Ausschnitt gleich platzen. Das gäbe ne Show. Nur ich würde sicher nicht neben ihr stehen. Ich konnte mich ja so herausreden, dass meine Mutter mich nur mit dem Versprechen hatte gehen lassen, ich würde nicht zu nah an den Krach gehen. Wenn nur wenigstens dieser Thorsson endlich käme, damit Will seinen Termin vereinbaren konnte. Vielleicht konnten wir dann ja wieder gehen. Wobei der Gedanke eher illusorisch war. »Ich hol mir mal schnell ein Wasser, bevor hier alles dicht ist. Willst du auch was?«, fragte ich Will.

»Danke, ich warte noch.«

Auch gut. Der Typ an der Bar putzte gerade den Tresen. Dann konnte ich mich zumindest drauflehnen ohne festzukleben, während ich wartete.

»Hi, kannst du mir was Scharfes machen?«, brummte eine heisere Stimme hinter mir. Ich schielte vorsichtig über meine Schulter. Zum Glück hatte der Typ nicht mich gemeint, sondern den Barkeeper. Das war sicher kein nordischer Gott, zumindest keiner von den Blonden. Er hätte Lokis Sohn sein können. Seine dunklen Haare, in denen nicht einmal eine einzige hellere Strähne etwas Licht in die Finsternis seiner Aura brachte, hingen verstrubbelt bis auf seine Schultern herab, als wäre er direkt aus dem Bett an die Bar gefallen. Sein T-Shirt sah genauso aus. Himmel, hatte es das nicht in seiner Größe gegeben? Warum mussten diese durchtrainierten Kerle das Zeug immer so eng tragen, dass man ihren Sixpack erahnen konnte? Und so kurz, dass man bei einer ungünstigen Bewegung den Bauchnabel sah. Hatte der tatsächlich am Bauch eine Tätowierung? Die schwarzen Linien auf seiner Haut über der Gürtelschnalle deuteten durchaus darauf hin. Die Gürtelschnalle war aber interessanter. Sie sah aus wie der Kopf eines Drachen, der sich um seine Hüfte wand. In der nordischen Mythologie hätte der Drache eine Schutzfunktion, wenn er sich um einen Schatz winden würde. Nun ja, auch in diesem Fall hatte er eine Schutzfunktion, wenn auch nur die, dass die Hose nicht runterrutschte. Ob er damit allerdings einen Schatz hütete, blieb dahingestellt.

»Hey, schöne Frau, willst du was Bestimmtes sehen? Ich hab’ noch zehn Minuten. Ich kann mich auch ausziehen.«

Sofort riss ich meinen Blick von ihm los und starrte den Barkeeper an, der mit einem breiten Grinsen im Gesicht einen Tequila einschenkte.

»Hi, Thorsson. Gut, dass ich dich noch vor dem Konzert treffe, ich bin Will«, hörte ich Will hinter mir.

Bei Odin, das war Thorsson? 

Ende der Leseprobe

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Verlag: Carlsen / Impress
ISBN: 978-3-646-60440-5 
Seiten: 335
Ab 14 Jahren