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Leseprobe aus »Thorns. Der Fluch der Zeit« von Lea McMoon
Zwei Wochen zuvor …
Der stürmische Wind fuhr unter Ariks Kleidung, wie die kalte Hand eines Toten. Er konnte ihn durch nichts aufhalten; weder die Lederjacke noch der wollene Umhang boten ausreichend Schutz. Selbst sein Pferd gab weniger Wärme ab als sonst, gerade so, als müsste es sich mit aller Kraft ein dickes Luftpolster im Fell anlegen.
Resigniert zog er seinen Umhang enger. Warum konnte er nichts dagegen tun? Wenn er doch nur eine Idee hätte, wie er die Situation ändern könnte. Aber alles, was er hatte, war ein Verdacht. Seit Stunden versuchte er den Weg, der den Berg heraufführte, im Auge zu behalten. Er hoffte, dass er sich nicht irrte. Er hoffte es um seines Verstandes willen. Wenn er nicht bald einen hieb- und stichfesten Beweis fand, würde er noch wahnsinnig werden.
Erneut kniff er die Augen zusammen und versuchte Bewegungen auf dem Weg zu erkennen, auch wenn sie noch so vage waren. Aber nichts. Zumindest nichts Menschliches. Es tobten lediglich Blätter herum. Massen an Blättern. Der Wind riss sie jeden Tag mit aller Gewalt von den Bäumen, ganz gleich, ob sie sich schon verfärbt hatten oder nicht. Es würde ein elendig kalter und stürmischer Winter werden – sofern er sich irrte. Er wollte sich nicht ausmalen, was das bedeuten würde. Aber etwas in ihm sagte ihm, dass es so weit nicht kommen würde. Nur – ob ihm die Alternative besser gefiel? Entnervt sprang er auf sein Pferd, um zurückzureiten. Es war sicherlich schon zu spät, als dass er darauf hoffen konnte, dass sich dieser alte Mann noch den Berg herauf verirrte.
Krähen krächzten in der Ferne. Er drehte sich um, um zu sehen, ob sie ihm folgten, wie so oft in letzter Zeit. Doch sie schienen über einer bestimmten Stelle zu kreisen. Er kniff die Augen zusammen und suchte den Berghang ab. Was war dort? Diese Vögel kreisten nicht umsonst an einer Stelle. Die Blätter trieben erneut durcheinander, als ein heftiger Windstoß die Bäume erfasste und hin und her riss. Wie eine Wand verdeckten sie ihm die Sicht auf den Weg dahinter. Er wendete sein Pferd und ritt langsam zurück.
Am Rande des Weges entdeckte er ihn – den alten Mann, auf den er gewartet hatte. Schemenhaft nur, als ob er nicht wirklich dort wäre, aber Arik war sich sicher, dass er nicht fantasierte. Der Alte versuchte die Krähen über sich zu verscheuchen. Doch unbeirrt zogen sie ihre Kreise enger und begannen ihn zu attackieren. Sie stürzten auf ihn herab, schlugen ihn im Vorbeifliegen mit ihren Flügeln und hieben mit ihren Schnäbeln nach ihm. Der Alte taumelte, während er erschrocken versuchte die Vögel mit seinem Stock abzuwehren.
Arik trieb sein Pferd zur Höchstleistung an. Er musste dem Alten helfen, das war seine einzige Chance.
Der Alte riss die Augen auf, als er Arik um die Kehre galoppieren sah und starrte ihn an, als würde der Teufel persönlich auf ihn zu reiten. Arik verlangsamte die Geschwindigkeit, um den Alten nicht weiter zu beunruhigen. Aber dieser beachtete nicht einmal mehr die Krähen, die sich nacheinander auf den Baum zurückzogen, als wollten sie die Szene beobachten. Schritt für Schritt wich der alte Mann zurück.
Arik hob langsam die Hand, um dem Alten zu zeigen, dass er ihm friedlich gesonnen war. Der Alte zögerte, aber schließlich blieb er stehen und beobachtete ihn misstrauisch. Arik wollte ihm etwas zurufen, um ihm die Angst zu nehmen, doch eine Windböe riss ihm die Kapuze vom Kopf, ehe er sie festhalten konnte.
Der Alte wurde kreidebleich und bekreuzigte sich. Seine Augen wurden immer größer und Panik stand in sein Gesicht geschrieben. Wütend zog Arik die Kapuze soweit über, dass er kaum noch darunter hervorschauen konnte. Doch der alte Mann hörte nicht auf ihn entsetzt anzustarren.
Arik kämpfte mit sich, ob er sich nicht besser doch zurückziehen sollte. Aber er musste mit dem Alten sprechen. Er musste! Langsam stieg er von seinem Pferd und hob erneut die Hand. Der Alte schien wie versteinert, aber bevor Arik ihn erreichen konnte, trat er einen Schritt zurück.
Mit einem Mal stürzten die Krähen vom Baum herab und attackierten den alten Mann noch wilder als zuvor. Diesmal wehrte er sich nicht gegen ihren Angriff. Immer weiter stolperte er vor Arik zurück, dem Abhang entgegen. Der Hieb einer Krähe, mitten in das Gesicht des alten Mannes, brachte diesen aus dem Gleichgewicht. Er schwankte. Steine brachen unter seinen Schuhen weg und polterten den Abhang hinunter. Verzweifelt griff er nach einem Ast. Arik machte einen Satz auf ihn zu, packte ihn am Ärmel und streckte ihm seine andere Hand entgegen. Doch der Alte starrte ihn nur wie besinnungslos an.
Der Ast gab nach. Der Stoff der Jacke riss und mit einem heiseren Schrei stürzte der alte Mann in die Tiefe.
***
Der Wind zerrte an meinen Haaren und rupfte ein paar Strähnen aus meinem Zopf. Es war kalt hier so weit im Norden. Ich betrachtete die Berghänge am Rande des kleinen norwegischen Heimatdorfs meiner Granny, die unweit der Dorfgrenze hinter einem schmalen, wild rauschenden Fluss stark bewaldet anstiegen, bis sie in schroffe kahle Felsen übergingen. Sturmwolken trieben dunkel und tief dahin und verdeckten immer wieder die Gipfel der Berge und ab und an brachte eine Sturmböe Regen mit sich. Ich zog den Reißverschluss meiner Jacke bis ans Kinn zu, bevor noch der letzte Rest an Wärme aus ihr entweichen konnte. Neben mir hörte ich meine beiden Cousins rumoren, die gerade dabei waren unser Auto auszuladen.
»Die Geschichte, die uns Granny da aufgetischt hat, ist wirklich merkwürdig, findest du nicht, Anca?«, fragte Robin mich. »Warum muss denn ausgerechnet jemand aus unserer Familie eine Kerze in dieser Kapelle in den Bergen anzünden? Um irgendwelche Stürme zu bändigen? Hast du schon jemals gehört, dass eine Kerze das Wetter beeinflusst? Und dass Granny absolut nicht damit herausrücken wollte, was es mit dieser Tradition auf sich hat, ist doch auch ungewöhnlich. Da muss doch noch was dahinterstecken.«
Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte auch das Gefühl, dass Granny uns einen Teil der Geschichte verschwiegen hatte. Nur weshalb war mir unklar. Sie erzählte liebend gern alte Märchen und Legenden. Sie hatte damit sogar mein Faible für die Lost Places-Fotografie geweckt und plötzlich wollte sie noch nicht einmal Genaueres über eine alte Familientradition preisgeben. Dabei hatte sie geradezu verzweifelt gewirkt, weil Dad sich weigerte diesen seiner Meinung nach albernen Aberglauben fortzuführen, nachdem sie erfahren hatte, dass ihr Cousin Markus auf dem Weg zur Kapelle abgestürzt war. Aber als ich ihr dann angeboten hatte, dass Robin und ich die Kerze an Ort und Stelle bringen könnten, wurde sie fast panisch und wollte mich unbedingt davon abhalten. Erst als wir Louis überreden konnten, mitzufahren und er ihr versprochen hatte auf mich aufzupassen, hatte sie nachgegeben, aber erleichtert wirkte sie dabei nicht.
»Vielleicht steckt wirklich nicht viel mehr dahinter. Es gibt viele alte Traditionen, bei denen Menschen an bestimmten Orten Rituale veranstalten, um irgendwelche mystischen Figuren, Wetterlagen oder Ungeziefer zu besänftigen«, brummte Louis, während er unsere letzten Sachen aus dem Kofferraum lud.
»Ja, schon«, warf Robin ein. »Aber die wissen doch auch warum, wenn die Erhaltung der Tradition so wichtig ist, wie Granny meint. Und wichtig wird sie wohl sein, denn warum zum Henker sollte dafür ein alter Mann allein mit einer Kerze zu einer Kapelle in die Berge ziehen? War doch abzusehen, dass da irgendwann mal was passiert.« Robin schaute entrüstet in Richtung Gastwirtschaft, wo sich vorhin, als wir angekommen waren und unsere Zimmer in Beschlag genommen hatten, ein paar Dorfbewohner am Stammtisch in der Gaststube eingefunden hatten. Ihr misstrauischer Blick mir gegenüber irritierte mich immer noch. Ich hatte eigentlich angenommen, die Leute aus dem Dorf würden sich freuen, wenn jemand aus unserer Familie her kam und die Tradition, die offenbar Grannys Cousin allein hochgehalten hatte, fürs Erste übernahm.
»Schaffst du es, den Rest allein reinzutragen?«, fragte ich Louis, der gerade seinen Rucksack schulterte. Er nickte nur und machte eine Handbewegung, um uns fortzuscheuchen. Was war der nur so wortkarg heute? Hatte er sich den Leuten hier schon angepasst? Oder war er sauer auf uns, weil wir ihn überredet hatten so kurzfristig nach Norwegen zu fliegen, obwohl er eigentlich mit seiner Freundin ein paar Tage nach Schottland fahren wollte. Das konnte ja noch heiter werden, wenn der die ganze Zeit so drauf war.
Ich seufzte und griff nach meiner Kamera, von der Robin behauptete, sie hätte mir schon bei meiner Geburt am Handgelenk gehangen. »Holen wir die Blumen aus dem Wagen und bringen sie zum Grab, bevor sie welk werden?«, fragte ich Robin. »So schwer wird das schon nicht zu finden sein. Ich habe keine Lust jemanden da drinnen in der Stube zu fragen und nur ein mürrisches Grunzen als Antwort zu bekommen.«
Robin schaute argwöhnisch über die verwitterte halbhohe Friedhofsmauer, die direkt an die Wirtschaft anschloss, in die wir uns einquartiert hatten. Da es das einzige Haus weit und breit war, das Zimmer vermietete, mussten wir uns wohl oder übel mit der wunderbaren Aussicht auf eine nicht unerhebliche Anzahl an Gräbern zufriedengeben. Aber vielleicht bekam ich so doch noch einmal einen Geist zu Gesicht, wie Robin mir immer prophezeite, wenn ich mir ein besonders gruseliges Objekt zum Fotografieren ausgesucht hatte. Ich ging ein paar Meter weiter zum Eingang des Friedhofs. Das schmiedeeiserne Tor stand halboffen. Vermutlich traute sich keiner mehr es zu schließen, weil es so verrostet war, dass große Teile seiner Schnörkel bereits herausgebrochen waren. Ich drückte Robin den Blumentopf in die Hand und machte ein paar Aufnahmen von allen Seiten. Am liebsten hätte ich gleich die ganze Friedhofsanlage von vorn bis hinten fotografiert, aber Robin zog mich weiter, weil er anfing zu frieren.
Wir mussten eine ganze Weile suchen, bis wir an der hintersten Friedhofsmauer zwischen überwucherten Wegen und moosbewachsenen Steinen ein frisches Grab entdeckten. Bisher hatte sich niemand die Mühe gemacht überhaupt irgendwelchen Schmuck auf den Erdhügel zu legen. Nur ein Holzkreuz mit dem Namen darauf steckte an einem Ende. Robin bohrte den Blumenstock samt Topf in den noch lockeren Boden. Ob nach uns überhaupt noch jemand an dieses Grab kam? Wieso lag es so weit abseits, in einem Bereich, der offenbar seit Jahrzehnten nicht mehr genutzt wurde?
Die Steine, die rundherum auf den anderen Gräbern standen, sahen ziemlich alt und verwittert aus und alle irgendwie gleich, im Gegensatz zu den Grabsteinen und Kreuzen im vorderen Bereich des Friedhofs. Ich ging näher an eines der Gräber heran, um zu sehen, wer hier begraben worden war. Doch ich konnte keinen Namen finden. Der Grabstein sah aus, als wäre nie etwas eingraviert worden. Ich kratzte an ein paar Stellen das Moos ab, aber auch darunter war nur blanker, unbearbeiteter Stein.
»Was suchst du da?«, fragte Robin und kam herüber.
»Ich will nur wissen, wer hier liegt.«
»Meinst du, das ist ein Grab von Grannys Familie?« Robin kratzte ebenfalls etwas von dem Moos weg.
»Daran hatte ich eigentlich nicht gedacht«, antwortete ich nachdenklich. »Mir ist nur aufgefallen, dass man nichts darauf lesen kann. Es sind noch nicht einmal Verzierungen eingemeißelt. Genauso wenig wie auf den anderen Grabsteinen ringsherum.«
»Vielleicht wusste man nicht, wer die Leute waren?«
»Hm, wer weiß.« Ich stand auf und wischte meine Hände an meiner Jeans ab. »Vielleicht sind es auch Gräber, in denen mehrere Leute zusammen begraben wurden. Aus der Zeit der Pest möglicherweise. Die soll hier im vierzehnten Jahrhundert ziemlich gewütet haben.«
»Gruselig«, murmelte Robin und verzog das Gesicht.
»Aber vielleicht war es auch ein Krieg mit Nachbarsfürsten, der die Leute ins Grab brachte.«
»Genauso gruselig. Ich mag keine Friedhöfe. Hier kommt es einem so tot vor.«
»Das liegt in der Natur eines Friedhofs, würde ich sagen.« Ich musste lachen. Robin war manchmal ein echter Kindskopf, obwohl wir gleich alt waren. Und wenn ich so recht überlegte, war er eigentlich schon immer ein Kindskopf gewesen. Erwachsen würde der sicher nie werden.
»Hast du eigentlich die Gruft da vorn schon gesehen?«, fragte er und deutete auf eine ungewöhnlich große massive Steinfassade mit einer Art Ritterfigur an jeder Seite. Die Gruft war mir schon von Weitem aufgefallen. Ich ging hinüber und stieg vorsichtig den kleinen Hügel hinauf, um mir das Ganze genauer anzusehen. Wenigstens hier waren Namen eingraviert. Ich brauchte immer Namen, um etwas zuordnen zu können. Die alten Gebäude, die ich fotografierte, bekamen erst durch die Namen ihrer ehemaligen Besitzer ein Gesicht. Ohne diese waren sie einfach nur verloren und vergessen.
Die Ritterfiguren waren zum Teil im Boden eingesunken und standen schiefer als der Turm von Pisa. Der nächste große Sturm könnte ihr endgültiges Ende bedeuten. Und dann würde die Natur von den übriggebliebenen Teilen Besitz ergreifen und sie durchwachsen und überwuchern, bis sie langsam zerfielen. Einerseits fand ich den Gedanken traurig, dass alles irgendwann zu Ende ging und Platz machen musste für etwas Neues. Andererseits war gerade der unaufhaltsame Zerfall genau das, was mich faszinierte. Und was am Ende übrig blieb, waren Geschichten, die die Menschen einander weitererzählten, manchmal als Warnung und manchmal zum Trost oder auch einfach nur so zur Unterhaltung.
»Die hießen alle Tordal«, murmelte Robin hinter mir.
Der Name kam mir bekannt vor. »In dem alten Märchenbuch von Granny gab es, wenn ich mich recht erinnere, eine Geschichte, in der eine Fürstenfamilie vorkam, die so hieß.«
»Echt? Meinst du, das könnten die hier gewesen sein? Worum ging es denn da?«, fragte Robin gespannt.
»Es war eigentlich so ein typisches Märchen. Ein junger schöner Fürst wurde durch den Fluch einer bösen Gräfin auf ewig in seiner Burg eingesperrt und nur dadurch gerettet, weil eine Fürstentochter sich im Sturm verirrte, seine Burg fand und den Fluch durchbrechen konnte.« Ich wusste, ich mochte das Märchen damals sehr, aber es war schon zu lange her, dass Granny es mir vorgelesen hatte, sodass ich mich an die Details nicht mehr richtig erinnern konnte.
»Der Letzte, der hier bestattet wurde, ist offenbar 1817 gestorben … auch schon ’ne Weile her.« Robin deutete auf den letzten Namen auf dem Stein.
»Hm, hat Granny nicht gesagt, dass die Tradition mit der Kerze schon fast zweihundert Jahre alt ist? Das wäre doch genau dieser Zeitraum.« Gab es womöglich einen Zusammenhang zwischen dem Märchen und dieser alten Familientradition, von der wir bis vor Kurzem nicht einmal etwas geahnt hatten? Ich musste unbedingt jemanden auftreiben, der mir mehr darüber erzählte, wenn schon Granny plötzlich so schweigsam geworden war.
Aber zuerst sollten wir wohl besser herausfinden, wo sich diese Kapelle befand, zu der wir die Kerze bringen sollten. Granny hatte sich nur vage an den Weg dorthin erinnern können, da sie als Zehnjährige bereits mit ihren Eltern das Dorf verlassen hatte, um nach London auszuwandern. Und in dem Brief, den ihr der Bürgermeister geschrieben hatte, um sie über den tödlichen Unfall ihres Cousins zu informieren, stand auch nichts Genaues. Allerdings meinte Granny, dass vielleicht drei oder vier Stunden Marsch auf uns zukämen.
Etwas Hölzernes tippte mich ans Bein. Ich drehte mich um und sah auf das runzelige Gesicht einer kleinen alten Frau herab, die sich mit ihrem Stecken mehr schlecht als recht auf den Beinen halten konnte.
»Ich habe deine Großmutter als kleines Mädchen gekannt«, krächzte sie mir entgegen.
»Tatsächlich? Woher wissen Sie, wer meine Großmutter ist?«, fragte ich und war froh, dass Granny uns als Kinder schon ihre Sprache beigebracht hatte.
»Ihr habt Blumen auf Markus’ Grab gelegt und der hatte keine anderen Verwandten mehr. Ich habe schon auf jemanden aus England gewartet«, erwiderte sie und musterte mich ganz genau. »Doch, du musst die Enkelin der kleinen Ida Stromsten sein. Du siehst genauso aus, wie ich sie mir als junge Frau vorgestellt hätte.«
Ich schmunzelte. »Das bin ich in der Tat. Mein Name ist Anca.«
Die Frau rückte ein Stückchen näher. »Bist du hier, um nach deinen Wurzeln zu suchen, wie so viele junge Leute, deren Vorfahren in die weite Welt ausgewandert sind?«
Die Neugier stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben, aber wenigstens war sie gesprächiger als die Leute, die wir bisher getroffen hatten. Dabei standen die Norweger in dem Ruf ein freundliches Volk zu sein. »Eigentlich bin ich mit meinen beiden Cousins hier, um die Kerze anzuzünden, die Markus hätte anzünden sollen.«
»Die Kerze?«, fragte sie und runzelte die Stirn.
»In einer Kapelle auf einem Berg, hat Granny gesagt.« Ich bekam langsam Zweifel an der Geschichte. Jeder, den wir seit unserer Ankunft hier darauf angesprochen hatten, reagierte überrascht bis abweisend, so als hätten sie entweder noch nichts davon gehört oder als wollten sie nicht damit konfrontiert werden. Weshalb hatte der Bürgermeister dann Granny überhaupt so aufgeregt davon geschrieben? Ich hoffte wirklich, dass wir den guten Mann heute noch einmal zu fassen bekamen – er war in die Stadt gefahren und sollte heute noch zurückkommen, wie der Wirt uns erzählt hatte.
Die alte Frau bohrte mit ihrem Stock im Kies herum. Doch dann nickte sie. »Ich kenne die Tradition.«
»Dann können Sie uns sagen, wie wir zu der Kapelle kommen? Granny wusste es nicht mehr genau und in den Karten, die wir haben, ist nichts eingezeichnet.«
»Hat Ida tatsächlich ein Mädchen geschickt, um die Kerze anzuzünden?«
Ich sah sie verwundert an. Was hatten nur alle für ein Problem damit? Granny wollte schon nicht, dass ich mit den Jungs überhaupt hierherkam, und sie hatte mir letztendlich das Versprechen abgenommen nur bis zur Kapelle, aber keinen Schritt weiter zu gehen und in jedem Fall sofort wieder umzukehren, wenn wir den Auftrag erledigt hatten. Und nun sollte ich vielleicht die Kerze nicht anzünden dürfen?
Ich deutete auf Robin neben mir. »Wenn es ein Problem ist, dass ich die Kerze anzünde, kann es auch Robin übernehmen, er ist auch ein Enkel von Ida. Mir reicht es nur dabei zu sein. Ich bin Fotografin und versuche vergessene Orte aufzuspüren, um Bilder davon zu machen.« Ich hielt ihr meine Kamera entgegen.
Die alte Frau stocherte wieder mit ihrem Stock im Kies und ich befürchtete schon, dass wir auch von ihr keinen Hinweis auf die Route zu unserem Zielort bekommen würden.
»Vergessene Orte und die vergessenen Geschichten dazu«, murmelte sie plötzlich und runzelte erneut die Stirn.
»Wenn es Geschichten dazu gibt, höre ich sie mir natürlich gern an.«
Die Alte kniff den Mund zusammen und humpelte von mir weg, ohne auch nur ein weiteres Wort zu sagen.
»Hallo? Habe ich was Falsches gesagt?« Ich sah der alten Frau nach, die davonwackelte, so schnell sie konnte, ohne uns einen weiteren Blick zuzuwerfen, geschweige denn, mir eine Antwort zu geben. Verdattert schüttelte ich den Kopf.
Robin zog an meinem Zopf. »Vielleicht spricht sie ja nur mit den Zwergen und Trollen.« Er riss die Augen auf und formte seine Hände zu Klauen, mit denen er nach mir grabschte. Ich wich ihm aus und grinste. Wenn die Trolle jemals so albern ausgesehen hätten wie Robin gerade eben, wären sie als Witzfiguren in die Geschichten eingegangen und nicht als bösartige Unholde.
Ich klopfte ihm sanft gegen die Stirn. »Die Trolle und Zwerge interessieren mich nicht, das weißt du. Ich möchte die wahren Geschichten hören und die Plätze dazu finden und ich will Bilder von Orten machen, die in den letzten hundert Jahren niemand mehr gesehen hat.« Ich nickte ihm zu. »Ich bin dann mal weg.« Schnell drehte ich mich um und folgte der Frau, bevor sie noch unauffindbar zwischen den Gräbern verschwand.
»Hey, und was ist jetzt mit essen?«, rief Robin mir nach. »Wir hatten noch nicht mal ein anständiges Mittagessen auf dem ganzen Weg hierher und der Wirt hat extra was für uns auf den Ofen gestellt. Es riecht doch schon so verlockend.«
»Fang schon mal mit Louis an. Ich rieche das Abenteuer. Das ist verlockender.«
***
Ich schlenderte neben der alten Frau her. Die jedoch tat gerade so, als wäre ich nicht da.
»Was meinten Sie mit den vergessenen Geschichten und weshalb laufen Sie vor mir weg?«, fragte ich, nachdem wir das Friedhofstor passiert hatten.
Sie blieb stehen und blickte streng zu mir auf. »Viele, die nach den Orten der Geschichten suchten, sind nie wieder zurückgekehrt.«
Ich stutzte. »Wirklich? Wer zum Beispiel?«
»Viele, sage ich dir, Kind.« Sie wedelte mit ihrer Hand, als wollte sie mich vertreiben wie eine lästige Fliege.
»Vielleicht sind sie nur weitergezogen, als sie gefunden hatten, was sie suchten und deshalb nicht mehr zurück ins Dorf gekommen.«
»Sie kehren nie wieder«, erwiderte sie beharrlich und setzte ihren Weg fort.
Aber so schnell wollte ich mich dann doch nicht abwimmeln lassen. Diese ganze Geheimnistuerei machte mich nur noch neugieriger. Ich musste ihr unbedingt entlocken, wovon sie eigentlich sprach. Wo es viele alte Geschichten gab, gab es meist auch viele interessante Orte. Ob mir unser Aufenthalt hier wirklich reichen würde, damit ich alles fotografieren konnte? Wenn ich daran dachte, dass Robin und ich in zwei Wochen schon wieder in der Uni sitzen und den langweiligen Juravorlesungen lauschen mussten, wurde mir übel. Und das nur, um eine weitere Familientradition aufrechtzuerhalten – in jeder Generation unserer Familie sollte mindestens ein Jurist sein. Louis war da schlauer gewesen und hatte Tourismus studiert, seinen Bergführer gemacht und wir konnten nun von seinem Organisationstalent profitieren, mit dem er unsere Touren plante, damit ich verwunschene Orte fotografieren und Robin an seinem Reiseblog schreiben konnte.
Die alte Frau wollte offenbar immer noch nicht mehr erzählen, denn sie stapfte beharrlich weiter in Richtung Dorfende.
»Wenn Sie mir sagen, von welchen Geschichten Sie gerade gesprochen haben, spendiere ich Ihnen Kaffee und Kuchen«, versuchte ich sie zu überreden.
Sie blieb stehen und sah sie mir direkt ins Gesicht. »Die Berge sind voll von Geschichten. Aber sie bringen dem, der ihre Schauplätze sucht, den Tod.«
»Weshalb denn das?«, fragte ich irritiert.
Sie schnaubte und machte eine fahrige Bewegung. »Weil die Berge rau sind und die Wege steil. Die Stürme sind gefährlich. Die Nebel undurchdringlich und …« Sie winkte ab und deutete auf einen der Berggipfel vor uns, der wie der Eckzahn eines Drachengebisses zwischen den anderen herausragte. »Der dort ist der Schlimmste. Niemand erklimmt ungestraft seine Wand, um die Dornenburg zu finden.« Sie fuchtelte mit dem Finger in der Luft herum, während sie wieder weiterhumpelte.
»Die Dornenburg? Welche Dornenburg?«, fragte ich.
Sie musterte mich argwöhnisch. »Die Kapelle, zu der ihr wollt, steht unterhalb der Dornenburg. Hat deine Großmutter das nicht erwähnt?«
Ich schüttelte den Kopf. Aber so langsam schlichen sich wieder Bruchstücke des alten Märchens in mein Gedächtnis. Hieß nicht der Berg, auf dem die verwunschene Fürstenburg stand, Dornenberg?
Die alte Frau schnaubte missmutig und bog zu einem rotgestrichenen Haus am Dorfrand ab, bevor ich nachfragen konnte. Energisch rüttelte sie an dem niedrigen Gartentürchen vor dem Haus, das ohnehin nur noch von einer Angel in seiner Position gehalten wurde. Ich griff danach, weil ich befürchtete, es würde herausbrechen und ihr auf die Füße fallen. Aber sie wimmelte mich nur unwirsch ab, zog die Tür auf und humpelte über einen halb zugewucherten Weg in den Garten. Der Wind schüttelte Äpfel von den zahlreichen knorrigen Bäumen, die rund um das Haus standen. Einige ihrer Äste bohrten sich unter die Holzschindeln des Dachs und hoben sie an. Die Fensterläden hingen schief an den Wänden des Häuschens und knarrten, während sie hin und her schaukelten. Sie waren sicher seit Jahren nicht mehr geschlossen worden. Das wäre direkt ein Motiv für mein Portfolio, dachte ich bei mir.
»Willst du mir das Haus abkaufen, weil du es so genau musterst?«, fragte die alte Frau.
Ich lachte auf. »Es ist wirklich hübsch. Aber ich bräuchte eher ein Wohnmobil als ein Haus, ich bin ja nur zuhause, wenn es unbedingt sein muss.«
Sie schüttelte den Kopf, aber ein klitzekleines Grinsen huschte ihr dann doch über ihr faltiges Gesicht. »Ihr jungen Leute, immer mit euren Reisen. Na komm schon rein!«, forderte sie mich nun deutlich freundlicher auf, als sie vorhin noch mit mir gesprochen hatte. »Den Kaffee und den Kuchen spendiere ich dir.«
Ich sprang ihr nach, bevor sie es sich noch anders überlegen konnte. »Wie heißen Sie denn eigentlich?«
»Nenn mich einfach Steena und du kannst dir die förmliche Anrede sparen. Wir sind hier auf dem Land.«
»Steena? Bist du die Tochter des Dorfschmieds?«
»Hat Ida von mir erzählt?«, fragte sie erstaunt.
»Ja, oft sogar. Du hast dich um sie gekümmert, wenn ihre Mutter auf dem Feld gearbeitet hat, richtig?«
Sie lächelte geschmeichelt. »Ich habe mich um alle Kinder hier gekümmert, ich bin ja die Älteste. Aber es ist kaum einer außer mir übriggeblieben. Achtundneunzig bin ich in diesem Jahr geworden. Und ich musste fast allein feiern, weil alle anderen aus meiner Generation schon tot sind.«
»Das ist ja traurig. Tut mir wirklich leid für dich.«
»Ach was, bevor mir einer vorjammert, wie schlecht es ihm seit fünfzig Jahren geht, feiere ich lieber mit mir selbst. Dann bleibt mir mehr von dem Aquavit, den unser Bürgermeister zu den hohen Geburtstagen immer spendiert.«
Steena wackelte um einen kleinen schiefen Tisch mit einer ebensolchen Bank herum und öffnete die Haustür. »Ich koche dann mal Kaffee für uns. Wenn du dich noch ein bisschen umsehen willst, bitte.«
»Soll ich dir nicht lieber helfen?«
»Wobei? Ich bin alt genug selbst Kaffee zu kochen.« Sie lächelte mich schelmisch an. Vielleicht war sie ja doch nicht so griesgrämig, wie es erst den Anschein gemacht hatte.
»Macht es dir was aus, wenn ich ein paar Fotos von deinem Garten und deinem Haus mache?«, rief ich ihr hinterher. »Ich müsste sie allerdings verkaufen dürfen.«
»Mach nur. Und wenn du vergessene Ecken findest, kannst du sie ruhig wieder ans Licht zerren.«
Ich fand einige schöne Ecken, aber so ganz wollte die Lust zu fotografieren mich nicht überkommen. Immer wieder zog es mich an die Stelle, von der aus ich den ungewöhnlich geformten Gipfel des Berges sehen konnte. Er ragte heraus wie ein Mahnmal, ein erhobener Zeigefinger oder wie auch immer man seine Andersartigkeit gegenüber den Gipfeln der Berge in seiner Nachbarschaft beschreiben sollte. Befand sich dort wirklich eine Burg? Groß konnte sie nicht sein. Der Gipfel wirkte zu spitz und die Hänge zu steil. Wo sollten da Mauern Platz finden? Vor allem, wie hätten die Menschen vor einigen Jahrhunderten dort einen so großen Bau errichten sollen?
»Du lässt dich nicht davon abbringen dorthin zu wollen, hm?«, fragte Steena, als sie wieder aus ihrem Häuschen trat.
»Naja, wir haben Granny versprochen, dass wir die Kerze dort anzünden, also machen wir das.«
Steena humpelte an meine Seite und richtete den Blick in dieselbe Richtung. »Er ist wirklich gefährlich, der Dornenberg. Glaube mir, Mädchen.«
»Er sieht zumindest so aus. Aber wir waren schon auf vielen Bergen. Ich denke, wir können das Risiko ganz gut einschätzen und wenn es uns wirklich zu gefährlich erscheint, dann kehren wir einfach wieder um.«
Ich bemerkte, dass Steena mich aus den Augenwinkeln beobachtete, schließlich drehte sie sich um und humpelte zum Haus zurück. »Komm mit rein und iss erst mal ein Stück Kuchen. Du magst doch Apfelkuchen?«
»Ja, klar, danke.« Ich folgte ihr in eine kleine aufgeräumte Stube, in der kein Möbelstück zum anderen zu passen schien. Sogar die Stühle und die Bank, die um den Tisch verteilt waren, hatten alle eine unterschiedliche Farbe und Form. Aber es war urgemütlich und es roch herrlich nach frischgebackenem Apfelkuchen und brennendem Holz. Ich schüttelte die Kälte ab und setzte mich ans Fenster, das zur Dorfstraße hinausging. Steena hatte offenbar immer im Blick, wer dort gerade vorüberkam, auch wenn es nicht allzu viele Leute sein dürften, so klein wie das Dorf war. Mein Magen machte sich bemerkbar, als sie mir ein Stück Kuchen auf den Teller legte. Und doch konnte ich es kaum abwarten, bis sie sich setzte. Ich hoffte, dass sie mir nun endlich diese Geschichte erzählte.
»Warum heißt also der Berg Dornenberg und die Burg Dornenburg? Und wie kommt man dorthin?«, fragte ich schnell, bevor ich in den Kuchen biss.
Steena rang sichtlich mit sich, ob sie mir mehr erzählen sollte oder lieber nicht.
»Na gut, es ist ja nicht meine Schuld, dass ihr dahin wollt«, gab sie schließlich nach. »Der Name Dornenberg kommt daher, dass an seinen Steilhängen ein dorniger Strauch wächst. Nirgendwo sonst ist das der Fall hier. Laut den Überlieferungen trugen seine Ausläufer so viele blassblaue Blüten, dass man, wenn man nicht aufpasste, sie von der Ferne glatt für ein Stück Himmel halten konnte, welches zwischen den Felsen hervorblitzte. Deshalb war es auch nicht leicht zur Burg zu gelangen. Man musste die Wege und ihre Abzweigungen genau kennen, um bis zu dem Plateau zu kommen, auf dem die Burg stand. Es heißt, dass die Ranken sie nicht nur getarnt, sondern auch die Burgmauer gestützt haben, damit sie nicht ins Tal stürzte.«
»Du erzählst in der Vergangenheit. Gibt es die Burg nicht mehr?«
Steena verzog das Gesicht. »Es gibt sie noch, aber die Dornen blühen nicht mehr und haben alles überwuchert; sie ist fast nicht mehr zu sehen. Ich kann mich aber an ein Bild erinnern, das jemand gemalt hat, als die Dornen noch nicht drüber gewachsen waren. Aber es ist leider mit dem alten Gasthaus verbrannt.« Steena wog den Kopf hin und her und überlegte. »Sie war wie eine Märchenburg – nur ohne den ganzen Schnickschnack wie Türmchen und Fähnchen. Sie hatte einen richtig hohen Turm, von dem aus man das ganze Land überblicken konnte und dicke Mauern und war dicht an die Bergwand gebaut, damit der kalte Wind von Norden nicht durch ihre Mauern pfeifen konnte. Zur Schlucht hinunter war die Burg nur durch eine Mauer geschützt. Aber mittlerweile ist alles so dicht zugewuchert, dass die Dornenhecken jedem, der versucht hineinzugelangen, die Haut aufreißen und ihn festhalten, bis er elendig darin umkommt.«
Das Märchen von Dornröschen kam mir in den Sinn. Lehnte sich diese Geschichte vielleicht daran an oder war es womöglich umgekehrt? Hatten die Gebrüder Grimm diese alte Legende als Vorlage genommen? Ich versuchte mir vorzustellen, wie eine Burg in den Bergen mit hellblau blühenden Ranken ausgesehen haben musste. »Und es kommt wirklich niemand mehr in die Burg hinein?«, fragte ich schließlich, weil sie offenbar nicht weiter erzählen wollte.
Steena beugte sich zu mir herüber und senkte die Stimme. »Wenn man Glück hat und nicht vom Sturm mitgerissen wird, dann kann man der Dornen Herr werden und in die Burg gelangen. Es muss gespenstisch dort sein. Die Gemälde der Besitzer, die Leuchter aus reinem Silber mit den alten Kerzen, die Tische, Stühle, Bänke, alles steht angeblich noch dort, so wie einst, bevor das Unheil seinen Lauf nahm.«
Ich beobachtete die geheimnisvolle Miene, die Steena nun aufsetzte. An ihr war eindeutig eine Märchenerzählerin verlorengegangen. Sie schlürfte ihren Kaffee. Laut und deutlich. Es hörte sich an, als wolle sie das Tosen des Sturms imitieren.
»Was meinst du mit dem Unheil? Den Fluch über den Fürsten?«
»Sie wurden alle von der kalten Gräfin verflucht, alle, die dort waren«, raunte sie mir zu.
»Meinst du mit alle diese Tordals? Die, die in der Gruft am Friedhof begraben liegen? Waren das die Besitzer der Burg?«
»Sprich diesen Namen besser nicht aus«, warnte sie mich ernst.
»Wieso nicht?«
Sie legte den Finger an den Mund und sah aus dem Fenster. »Man weiß nie, ob nicht einer von ihnen gerade in der Nähe ist.«
Ich folgte ihrem Blick, aber keine Menschenseele war weit und breit zu sehen und selbst wenn, bezweifelte ich, dass jemand hören konnte, was wir hier drinnen redeten.
»Wohnt denn von denen noch einer hier im Dorf?«, fragte ich nach.
»Wohnen? Keiner wohnt mehr hier. Sie sind alle tot oder zumindest so etwas Ähnliches.«
So etwas Ähnliches? Wie konnte man so etwas Ähnliches wie tot sein? Fast hätte ich gelacht, wenn mich nicht ihr warnender Blick davon abgehalten hätte. Meinte sie das wirklich ernst?
»Der Fluch ist daran schuld, dass sie immer noch umherziehen«, fuhr sie erneut mit geheimnisvollem Unterton fort. »Und es wird nie enden. Nicht heute und nicht in tausend Jahren.«
Ich horchte auf. Es würde nie enden? Hieß es nicht in Grannys Märchen, der Fluch wäre gebrochen worden? Und hatte nicht Granny das typische, immer gleiche Märchenende erzählt … und wenn sie nicht gestorben sind …?
Ende der Leseprobe
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